Oskar Freysinger ist SVP Nationalrat und neulich in die Walliser Regierung gewählt worden. Daraufhin zeigt er einem Team aus dem Fernsehen sein Haus und im Keller taucht an der Decke hängend eine deutsche Reichskriegsflagge auf. Als Leser deutscher Presse, ist für mich in einem gegenwärtigen Kontext die Assoziation von “Flaggen des deutschen Kaiserreichs” mit “Neonazi Gruppierungen” ein Automatismus. Schweizer Journalisten hatten den gleichen Reflex und bald kam die Kontroverse. Experten wurden herangezogen, Forderungen adressiert und Bewegungsgründe abgewogen. Der Zürcher Tages-Anzeiger zumindest ist wirklich dran geblieben, wie diese Links zeigen.
Auf Facebook-Pinnwänden haben sich auch Diskussionen entfaltet. Denen habe ich entnommen, dass die heutige Bedeutung der Reichskriegsflagge — die Flagge auf die man ausweicht, wenn einem das Hakenkreuz verboten wird — nicht für jedeN SchweizerIn selbstverständlich ist. Damit ist die Ausrede Freysingers — er hätte von der Verbindung mit dem Rechtsextremen Milieu nichts gewusst — sicher nicht glaubwürdiger, jedoch taktisch gesehen nachvollziehbarer. Es handelt sich nämlich um Dog-Whistle Politics. Hier ist diese Flagge eine Hundepfeife, die Signale sendet, welche nur gewisse EmpfängerInnen klar verstehen können.
Nach einer Definition von The Economist bedeutet Dog-Whistle Politics
[… ]putting out a message that, like a high-pitched dog-whistle, is only fully audible to those at whom it is directly aimed. The intention is to make potential supporters sit up and take notice while avoiding offending those to whom the message will not appeal.
In der US amerikanische Politik, vor allem im Kontext der Rassenthematik, gibt es zahlreiche Beispiele.
Die Schweiz und die USA haben zwar verschiedene Geschichten aber auch gemeinsames, wie zum Beispiel rechte politische Kräfte, welche Mühe mit Leuten unterschiedlicher ethnischer Herkunft haben. Dass Freysinger so einer ist, zeigen seine bekannte anti-Islam Tiraden an Foren Rechtsextremer in Berlin und Paris (oder allein seine Parteimitgliedschaft?). Es gibt auch viele potentielle WählerInnen, welche Nationalismus und neonazistisches Gedankengut pflegen, früher haben sie unter anderem PNOS gewählt. Diese Leute muss die SVP ansprechen, damit sie künftig der Urnen nicht fern bleiben. Diese Leute kann man nicht offen ansprechen, denn ihre politische Position ist noch verpönt. Diese Leute kennen aber ihre eigene Symbole sehr wohl.
Der kluge Freysinger hat mit dieser Farce um die Reichskriegsflagge den Spagat meisterlich geschafft. Die Mitteilung an die Schweizer Kameradschaften ist durch tagelangen Berichterstattung angekommen. Linksliberale BürgerInnen vertrauen der Presse und glauben, dass diese Flagge sehr problematisch ist, sie wählen aber die SVP sowieso nicht. SVP WählerInnen, welche keine Sympathie für das Dritte Reich aufbringen können, würden sich zwar stören, wenn der Lieblingspolitiker mit dem Hakenkreuz auftauchen würde, glaubt in diesem Fall aber nicht, dass diese Flagge ein Substitut davon ist, so wie die angeblich von Linken unterwanderten Medien propagieren.
Das ist keine Provokation, wie die KommentatorInnen bekunden, das ist grob kodierte Wahlwerbung, das ist ein schlecht verschleiertes Sympathiebekenntnis für eine politische Tradition, die unvertretbar ist.